Freiwilligendienste Kultur und Bildung – „kein Jahr wie jedes Jahr“

7. August 2024


„Bildungsgerechtigkeit heißt für mich, dass die einzige Frage für oder gegen einen Freiwilligendienst lauten darf: „Habe ich Lust darauf, mich ein Jahr freiwillig zu engagieren?““

– Annalena Wandt,
ehemalige Freiwillige/Koordinatorin Freiwilligendiensten Kultur/Bildung

Wenn ich an mein FSJ Kultur zurückdenke, denke ich an ein Jahr, in dem ich mit meinen individuellen Fähigkeiten, Wissen und Möglichkeiten im Fokus stand. Ich denke an einen Lern- und Erfahrungsraum, in dem ich mich wertungsfrei und weniger gehemmt ausprobieren und weiterbilden konnte. Ob in meiner Einsatzstelle – einem Duisburger Kleinkunsttheater – oder bei den Seminaren, mich umgab in diesem Jahr ein Gefühl von Sicherheit und Freiheit. Und dabei bedingt das eine das andere: Ohne die Toleranz von vermeintlichen Fehlern im Arbeitsalltag und den sicheren Raum, den wir uns als Seminargruppe durch einen sehr wertschätzenden und wohlwollenden Umgang miteinander geschaffen haben, hätte ich mich nicht frei entfalten können. Und immer, wenn ich diese Erfahrung mit meinem Erleben der Schulzeit – dem einzigen anderen Lernumfeld, das ich bisher kannte – verglichen habe, war für mich klar: Alle sollten eine Chance auf diese Erfahrung bekommen. Und ich persönlich? Ich möchte kulturelle Bildung mitgestalten, junge Menschen dabei begleiten, sich selbst und einen Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Deshalb habe ich hinter die Kulissen gewechselt, war während meines Studiums pädagogische Seminarassistenz, habe als externe Referentin kreative Workshops gegeben und darf in diesem Jahr als Koordinatorin eine Seminargruppe bei der LKJ Sachsen e.V. in ihrem Freiwilligendienst begleiten.
Ich kenne also viele Perspektiven auf die Freiwilligendienste, die Möglichkeiten, die sie bieten, aber leider auch die auf allen Seiten bemerkbare schlechte Finanzierung. Das Taschengeld im FSJ war für mich genau das: ein Taschengeld. Von damals 340€ im Monat hätte ich nicht leben können. Ich bin dankbar, dass kulturelle Einrichtungen in der Nähe meines Wohnortes Freiwilligendienstplätze angeboten haben. Ich bin dankbar für das gute Verhältnis zu meinen Eltern, bei denen ich in diesem Jahr nicht nur wohnen konnte, sondern die meine Entscheidung für den Freiwilligendienst unterstützt und verstanden haben. Bildungsgerechtigkeit heißt für mich deshalb, dass die einzige Frage für oder gegen einen Freiwilligendienst lauten darf: „Habe ich Lust darauf, mich ein Jahr freiwillig zu engagieren?“ und nicht „Kann ich während eines Freiwilligendienstes meine Miete und Lebenshaltungskosten bezahlen, auch wenn ich dafür ggfs. umziehe? Akzeptiert mein Umfeld, dass ich nach meinem Schulabschluss nicht direkt eine Berufsausbildung beginnen möchte? Kann ich einen Freiwilligendienst mit der Pflege Angehöriger oder der Erziehung meiner Kinder vereinbaren?“

Mein Jahr in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung war ganz sicher „kein Jahr wie jedes Jahr“. Ich habe Menschen kennen- und schätzen gelernt, die mir auch heute – acht Jahre später – noch nahe stehen oder aber sehr prägend für meinen weiteren Lebensweg waren. Ob im FSJ selbst oder durch meine beruflichen Tätigkeiten im Kontext der Freiwilligendienste habe ich Freund:innen, Mentor:innen, meinen Partner und Menschen, die ich bei sehr spezifischen Fragen anrufen kann, dazugewonnen. Ich wünsche mir eine Zukunft, in der alle Menschen unabhängig von ihrem sozialen und finanziellen Hintergrund die Möglichkeit haben, sich freiwillig in unserer Gesellschaft zu engagieren.